Hanns Zischler – Laudatio auf Bénédicte Savoy
Französische Botschaft in Berlin, 1. Dezember 2015
These silent wrecks, more eloquent than speech, Full many a tale of awful note impart:
Truths more severe than bard or sage can teach This pomp of ruin presses on the heart
Thomas Love Peacock, Palmyra (1806)
An welchem Ort sollte man eines weltgewandten, Frankreich verehrenden, umtriebigen Gelehrten und seines Weggefährten gedenken, der aus dem Gedächtnis der Stadt Paris so gut wie verschwunden ist ? Die Rede ist von Alexander von Humboldt und Aimée Bonpland und die ihnen gewidmete Ausstellung im Jahr 2013 an der erhabensten Stelle des wissenschaftlichen Paris – am Observatoire.
Wo sollte man die Filme zeigen, die mit propagandistischem Aufwand dem Zuschauer und dem Besucher der Berliner Museen in der NS – Zeit eine einseitige und pathetisch überzuckerte Sicht auf die Sammlungen nahelegen wollte – im Zeughaus-Kino.
Was wäre der angemessene Ort, um die künstlerisch überhöhten Pläne für den Wettbewerb des Neuen Museums im Jahr 1883 / 84 noch einmal zu begutachten? – der Neo-Torso der Schinkelsche Bau-Akademie.
Diese drei Beispiele sollten genügen, um fürs erste den wissenschaftlichen Spürsinn und die sichere Hand der Frau zu charakterisieren, die heute gelobt und den Prix de l’Académie de Berlin erhalten soll: Bénédicte Savoy
Im Alltag, unverhofft und flüchtig werden wir von Geschichtsbildern gestreift – sie treten wie aus dem Nichts auf, einzeln und in Schwärmen, in der Werbung, in der Presse, in Filmen, im Dahingesagten, im Vorübergehen. Es sind jene Bilder, die wir als historische Phantome – und Phantome der Historie – einer uns lebensgeschichtlich nicht mehr erreichbaren Überlieferung meinen fassen zu können. Hartnäckig ausharrende Bilder, fest verankert im Fundus einer Mythologie von Personen und Ereignissen, die mit der Entfernung vom Ursprungsort bzw. dem Ereignis zu unlesbaren Kürzeln und Geheimnissen geronnen sind und in dieser kryptischen Form wieder zu Botenstoffen für eigensinnige, ideologische Interessen werden können: ‚Napoleon’ zum Beispiel, um dessen Namen sich Legenden und Verdammungsurteile scharen wie um keine andere Person bis heute. Oder scheinbar fraglos schöne Erscheinungen, wie Nofretete, die sich universeller Bewunderung erfreuen, als verkörperten sie, jenseits aller Moden, ein anthropologisches Schönheitsideal.
Wo lassen sich diese Geschichtsbilder überprüfen und befragen? – wobei ich der maßstabsetzenden Instanz eines ‚kollektiven Gedächtnisses’ nicht blind vertrauen möchte, denn auch sie wird von sehr heterogenen Überlieferungen gespeist, deren Verdaulichkeit oft zweifelhaft ist.
In der Chronotopie der Ereignisse sind es gewiß die Gedenktage und Ausstellungen, die Anlass sind für visions and revisions. Und der herausragende Ort dafür ist in unserer Hemisphäre das Museum. Welche Bild – und Bildungsmacht ein im Museum ausgestelltes Objekt zu entfalten vermag und welche Lektionen mit einer solchen Demonstration und Präsentation einhergehen, welche quasi sakralen Momente die säkulare Architektur aufladen und welche ästhetisch wechselnden Urteile sich um ein solche Objekte (und deren Geschichten) ranken, ist der Inhalt der Forschungs und Ausstellungsarbeit von Bénédicte Savoy ihren Mitarbeitern.
Nofretete
Bénédicte Savoy weicht geschickt dem hypnotisierenden Blick der schönen Frau aus und recherchiert. Sie gräbt noch einmal, um im Bild zu bleiben, und fördert eine überaus verwickelte Geschichte zutage, in der die Spannungen zwischen der britischen und französischen Kolonialmacht im ägyptischen Mandatsgebiet, persönliche Freundschaften und Animositäten unter Ägyptologen, die Verwerfung der wissenschaftlichen community durch den ersten Weltkrieg und schließlich der von der öffentlich ausgestellten schönen Büste selbst beschleunigte esthetic turn ein Museumsdrama ganz eigener Art bilden.
Ägypten war seit dem Eroberungszug Napoleons und dem monumentalen Tafelwerk von Dominique-Vivant Denon eine bevorzugte Domäne der französischen Archäologie. Nach einer nur sechsjährigen gemeinsamen britisch-französischen Kolonialverwaltung des großen Landes übernahm Großbritannien, nach dem blutig niederkartätschten Aufstand von Ahmed Arabi 1882, allein die militärische Oberhoheit, während lediglich die Altertümer dem französischen Ministerium der Travaux Publics unterstellt wurden. Diese Arbeitsteilung funktionierte so lange einigermaßen, wie sie von umsichtigen Personen verwaltet wurde; mit dem Auftreten des hegemonial gestimmten Kriegers Lord Kitchener, sollte sich das grundlegend ändern. Sämtliche Funde sollten in „genau zwei gleiche Hälften“ zwischen den ausländischen Teams den USA, Italien und Deutschland und dem jeweiligen Mandatsträger – aufgeteilt werden. Als im Januar 1913 der deutsche Archäologe Ludwig Borchardt und sein Team den bunt bemalten Kopf einer Prinzessin in Amarna fanden, überliessen der kollegial geschätzte französische Verwaltungsdirektor Gaston Maspero und sein Beauftragter Lefebvre, ohne den Fund wirklich in Augenschein genommen zu haben, allein „durch Photographien und per distance“ wie Borchardt schreibt, den bunt bemalten Kopf einer unbekannten Prinzessin.
Borchardt erkannte sehr früh, welches einmalige Stück ihm da in die Hände gefallen war – „Beschreiben nützt nichts, ansehen!“ war die fast verwegene, ebenso hellsichtige wie alarmierende Formel, mit der er die Trophäe bedachte. Und als hätte er geahnt, welche Eigendynamik dieser Kopf entfalten könnte, nachdem bereits die anderen Objekte der Amarna-Kunst in Berlin für einen enormen, geradezu modischen Wirbel gesorgt hatte und welche Demütigung er für den nach 1918 immer vernehmlicher auftretenden ägyptischen Nationalismus darstellte, versuchte Borchardt eine öffentliche Präsentation in Berlin zu verhindern. Vergeblich. Als im April 1924 der Kopf der Nofretete in einem sehr modernen Ambiente gezeigt wurde, war die Begeisterung grenzenlos – und der Schaden für die deutsche Archäologie fast irreparabel.
Der Kulturaustausch, der über Jahrzehnte unter den europäischen Partnern relativ reibungslos funktioniert hatte, war durch die Feindseligkeiten im ersten Weltkrieg schwer beschädigt worden.
Der als Kriegsteilnehmer zum Deutschenhasser gewordene Ägyptologe Pierre Lacau – er war 1905 eher widerwillig nach Ägypten gegangen – entfachte nicht enden wollende Restitutionsscharmützel gegen Berlin – und forderte die Rückführung nach Kairo aus moralischen Gründen, nachdem eine juristische Handhabe
nicht gegeben war.
Anhand des umfangreichen Dossiers aus dem Nachlass von Pierre Lacau, dessen wissenschaftlicher Ehrgeiz von einer im Weltkrieg erworbenen Ablehnung der boches überformt wurde, enthüllt Bénédicte Savoy die Hintergründe dieses head-huntings der besonderen Art.
Durch akribische Auswertung und ein virtuoses crossreading von bislang wenig beachteten Quellen enfaltet Bénédicte Savoy das Panorama eines Konflikts, bei dem eine öffentlich ausgestellte Büste einer ganzen Generation den Kopf verdreht und alte Feindschaften neu aufleben.
Aber die Erhellung der Umstände, die sich mit diesem Fundstück verbinden, ist für Bénédicte Savoy weit mehr als ein kurioser Einzelfall von Ägyptomanie. Archäologiegeschichte, Kollegenneid, Kolonialismus und nationalistischer Interessensfuror sowie eine umfassende Neubewertung antiker Kunst sind hier zu einer explosiven Mischung verdichtet:
Es geht hier nicht darum, Restitutionen zu fordern oder zurückzuweisen – dazu ist der Historiker nicht in erster Linie berufen. Es geht vielmehr um die Notwendigkeit eines gleichberechtigten Dialogs mit den ehemaligen „Geberländern“ oder ihren Nachfolgestaaten, um historische Transparenz, um rückhaltlose Aufklärung von Provenienzen und Ausgrabungsumständen und nicht zuletzt um die Aufklärung des Publikums. In vielen Museen der Welt ist die systematische und kontinuierliche Untersuchung eigener Erwerbungen in der NSZeit... eine Selbstverständlichkeit geworden. Sollte die Zurückverfolgung der archäologischen und ethnographischen Zugänge der westlichen Museen aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert nicht ebenso selbstverständlich werden?
Mit dieser Arbeit stellt Bénédicte Savoy erneut ihr dynamisches Konzept des Museum und der Museografie unter Beweis. Im Museum verwandelt sich die geradezu sakral verehrte Büste mit Hilfe eines aktualisierten und aktivierten Archivs zu einem überdeterminierten Objekt, dessen lange Zeit verhüllte, konfliktreiche Geschichte auch an die Ausstellungspraxis besondere Herausforderungen stellt.
Welcher Art sie sind, lässt sich anhand einiger Beiträge in der reichhaltigen, mit zahlreichen Illustrationen angereicherten Anthologie nachverfolgen.
Die Berliner Museumsinsel-Impressionen Internationaler Besucher 1830 – 1990
Bénédicte Savoy und Philippa Sissis, die beiden Herausgeberinnen haben mit diesem Buch eine wahre Fundgrube geschaffen. Die bio – und bibliographisch kommentierten Beiträge reichen von literarischen Überformungen über polemische Darstellungen bis zu museografisch pointierten Betrachtungen.
So schreibt der frühere Direktor des Louvre, Pierre Rosenberg, bei dem Bénédicte Savoy promoviert wurde und dessen Anregungen sie bis heute viel verdankt, 1998, anlässlich der Eröffnung der Gemäldegalerie am Kulturforum: „Eine Zwischenfrage, zugleich eine leichte Unzufriedenheit. Der Besucher wird mehr über die Geschichte dieser bedeutenden Galerie wissen wollen, über die Erwerbung der Sammlung Giustiniani 1815, die Gründung der Galerie 1830 durch ihren ersten Direktor Waagen, über die Rolle Bodes im Vergleich mit der von Dominique-Vivant Denon, dem Begründer des Louvre … über die traurige Hitlerzeit und den Exodus der Konservatoren, über die zwei Museen in Ost und West, über ihre glückliche Wiedervereinigung.
Und dann die Pointe: Es fehlt ein Saal, der mithilfe einiger Bilder die Geschichte und die verschiedenen Orte in Berlin zeigen, welche die Gemäldegalerie seit ihrer Gründung bis zu ihrer jetzigen (endgültigen?) Unterbringung einnahm. Die Sammlungen aus dem Bodemuseum und aus Dahlem wiederzuvereinigen, heißt auch, einem Museum, das sich stets als enzyklopädisch verstand, seinen Sinn zurückzugeben.“ Diese Anthologie ist nicht nur überraschend unverbraucht, weil hier lange Zeit verschollene, schwer auffindbare essayistische, literarische, diaristische, epistolarische und journalistische Texte über die Berliner Museumsinsel versammelt sind, sondern weil die klug kommentierte Auswahl, ergänzt durch pointiert eingestreute Illustrationen, dieses polyphone Ensemble zu einem beredeten Navigator durch die stark schwankenden Gezeiten des Museums macht.
Auf subtile Weise korrespondiert dieser üppige Band mit der von Walter Grasskamp wenige Jahre zuvor publizierten Anthologie Sonderbare Museumsbesuche – Von Goethe bis Gernhardt, in dem es unter anderem um die hintergründige Frage geht: „Wie besuche ich ein Museum?“
In Savoys und Sissis’ Anthologie werden nur drei deutsche Stimmen zitiert, eine strategische Maßnahme, mit deren Hilfe die Wirkungsgeschichte von lokalpatriotischen Einsprengseln befreit und den Blicken der andern gebührend Raum gegeben wird. Wie im Zeitraffer tauchen durch die vergleichenden Blicke und Rückblicke die wechselnden Museumskonjunkturen vor uns auf. Bei Besuchern aus den sog. „Geberländern“ ist es der melancholische oder zornige Blick auf verlorene bzw. geraubte Sammlungen.
So schreibt der angesehene Direktor des Moskauer Puschkinmuseums Iwan Zwetajew 1904 nach einem Berlinbesuch im Ton resignierender Bewunderung „...alles [ ist ] original, was die deutschen Archäologen auf ihren Fischzügen durch Italien herauszubringen vermochten, ganz wie die vielen Kunstschätze, die man in den Berliner Museen zusammengetragen hat. Mir persönlich tut es leid, wenn solche Bilder den ursprünglichen Eigentümern, einer Stadt oder einem Dorf verloren gehen. Aber gegen vollendete Tatsachen ist schwer anzukommen.“
Bénédicte Savoy scheint mit einem ungewöhnlich produktiven Kooperations-Gen ausgestattet zu sein, anders ist schwer zu erklären, wie es ihr seit mehr als zwanzig Jahren gelingt, in reger internationaler Zusammenarbeit mit Kollegen und Studierenden wissenschaftlich solide, ästhetisch anregende und im wahrsten Sinn grenzüberschreitende Ausstellungen und Kataloge auf die Beine zu stellen. Nie hat sie nur das Thema, das Sujet im Blick, sondern immer auch den museumsgeschichtlichen Rahmen, die Kulissen, den Raum, die Stimmen und Stimmungen des darin verkehrenden Publikums.
Zu ihrer merkurischen Geselligkeit hat gewiß auch beigetragen, daß sie nach einem Aufenthalt als Austauschschülerin in der Berliner Beethoven Oberschule 1988 / 89 ihre Ausbildung als Germanistin in Frankreich durch eine zusätzliche an der Humboldt-Universität ergänzte, um sie im Jahr 2000 durch eine Promotion über die „Spoliations françaises d’oeuvres d’art en Allemagne autor de 1800“ abzuschießen. Nach Assistenz- und Lehrjahren am Centre Marc Bloch in Berlin unterrichtet sie schließlich – mit sichtbarem, öffentlichem Erfolg – seit 2003 Kunstgeschichte an der Technischen Universität zu Berlin.
Mit ihren Ausstellungen und Publikationen ist Bénédicte Savoy eine unermüdlich forschende, singuläre Vermittlerin zwischen Frankreich und Deutschland auf dem Gebiet der Museums- und Kunstgeschichte. Hier gelingt es ihr, Konflikte und Verwerfungen, die sich über Jahrhunderte angehäuft haben und ideologisch instrumentalisiert wurden am konkreten Gegenstand sichtbar und lesbar zu machen.
Als belebendes Ferment kommt hinzu, und ich glaube, dieser private Umstand darf hier erwähnt werden, daß sie mit Johannes Grützke einen Mann an ihrer Seite hat, der als jüngster Schadow-Schüler einer Dominanz des Französischen sich mit berlinischer Chuzpe zu erwehren weiß. Mit ihrer Doktorarbeit hat sie ein Thema angeschlagen, das in der Folgezeit weit über den unmittelbaren Rahmen – des Kunstraubs unter Napoleon – hinausweisen soll: Es ist das geistes- und kunstgeschichtlich stark bewegte Gelände der Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich vom Beginn der napoleonischen Herrschaft bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts.
Dominique-Vivant Denon hat auf monumentale Weise – als bildender Künstler und Schriftsteller die französische Mission in Ägypten geleitet – und dadurch nicht nur die Ägyptologie mitbegründet, sondern auch die genealogischen Aspirationen Bonapartes künstlerisch zu überhöhen verstanden. Einen Vorgeschmack seines Spürsinns und seiner Gier liefert er in seinen Voyage dans la Basse et la Haute Égypte, pendant la campagne du général Bonparte :
„Mitten auf dem Hofe dieser Moschee befindet sich in einem kleinen achteckigen Tempel eine Wanne von ägyptischem Brescia [ Marmor], die unglaublich schön ist, sowohl wegen ihrer inneren Güte als wegen der unzähligen hieroglyphischen Figuren, die sie aus – und inwärts bedecken. Dieses Monument, wahrscheinlich ein Sarkophag des alten Ägyptens, wird unstreitig durch ganze Bände Dissertationen berühmt gemacht werden. Ich hätte einen Monat gebraucht, um alle Kleinigkeiten davon zu zeichnen... Ich füge noch hinzu, daß man es als eines der köstlichsten Stücke des Altertums betrachten kann, und daß es mit die erste Beute von Ägypten sein sollte, womit wir eines unserer Museen bereichern müssten.“
Was hier noch als Wunsch formuliert wird, erfüllt sich, sobald der General Kaiser geworden ist und die von ihm besetzten Länder auch dem hemmungslosen Sammler offenstehen. Als „Requisitor“ macht er den besetzten Ländern Österreich, Italien, Preußen seine Aufwartung.
Dominique- Vivant Denon – „L’oeil de Napoléon“ [ das Auge Napoleons] – so hat Pierre Rosenberg die magistrale Ausstellung zur Jahrtausendwende im Louvre genannt.
Bénédicte Savoy zeichnet in ihrem dichten Katalogbeitrag „Une ample moisson de superbes choses“ [ Eine reichte Ernte hervorragender Objekte ] Denons unersättliche Gier nach Objekten aus den europäischen Residenzen für den neuen Louvre nach, dessen erster Direktor er nunmehr geworden ist und dessen Südflügel bis heute seinen Namen trägt. Dieser „Requisitor“ scheint ein derart einvernehmliches, kunstsinniges Wesen an den Tag gelegt zu haben, verstärkt vom geborgten Glanz seines Kaisers, daß die von ihm massiv Bestohlenen nicht umhin können, ihn heimlich und manchmal sogar öffentlich zu bewundern. „Wenn die Geschäfte, die ihn hierher geführt haben, nicht so hassenswert gewesen wären, hätte ich es als sehr wünschenswert empfunden, ihn ausführlicher kennenzulernen“, schreibt der Braunschweiger Kustode Emperius. In Weimar logiert er, natürlich, bei Goethe. Gelegentlich schießt Denon wissentlich und in seiner Unersättlichkeit unbehindert über die kaiserliche Ordre hinaus (oder strapaziert sie zu seinen Gunsten). Bénédicte Savoy zitiert einen ausführlichen Brief Denons an Napoleon, als er sich anschickt den Dresdner Zwinger zu plündern und es nicht unterlässt, sein Ansinnen mit einer verräterisch devoten Schlussformel zu besiegeln: „Ce n’est pas mon enthousiasme qui vous parle, Sire; mais la conscience de mon devoir.“ Talleyrand ist es schließlich, der Napoleon überzeugt, den Dresdner Raubzug mit Rücksicht auf die besondere Bindung des sächsischen Fürsten an seine Sammlungen, zu unterbinden.
Fünfundfünfzig Tafelbilder werden allein aus Potsdam mitgenommen, vor allem die italienische und die niederländische Schule (aber keine französische Schule, kein Watteau). Der Baron Denon hat einen von den damaligen kunst – und stilgeschichtlichen Präferenzen enorm abweichenden und auch sehr viel weiter gespannten Geschmack. Ihn sophisticated zu nennen, wäre eine Untertreibung. Als er in Berlin zwanzig Bilder von Cranach und ein Dürer zugeschriebenes Altarbild abtransportieren lässt, schreibt Schadow an Böttiger, den großen Kolporteur des deutschen Klassizismus: „Die Hervorbringungen der alten deutschen Meister versetzen ihn in höchste Erregung.“
“Der freundliche Empfang, der Denon in Deutschland bereitet wurde,“ schreibt Bénédicte Savoy, „erschließt sich vollends erst, wenn man den Geist der Selbstgeißelung und das Minderwertigkeitsgefühl in Betracht zieht, unter denen die kulturellen Beziehungen zwischen dem identitätsarmen Deutschland und einem hegemonial dominierenden Frankreich standen.“ Als mit dem Wiener Kongress Napoleons Vorherrschaft über Europa beendet wurde, musste der große Kunsträuber seine Schatzkammer wieder räumen. Die Requisition schlägt um in Restitution. Ein Kulissenwechsel im neuen Louvre, wie er theatralischer nicht hätte sein können.
Museumsgeschichte
Zu den aufregendsten Lektüren zählt die von Bénédicte Savoy gemeinsam mit Kristina Kratz-Kessemeier und Andrea Meyer herausgegebene, kommentierte Sammlung von Quellentexten zur Museumsgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, in der auch eine
Soziologie des Museumspublikums enthalten ist. Es sind großartige Fundstücke darin, wie Paul Valérys polemischer Alptraum eines Museumsbesuches:
„Ich möchte glauben, daß weder Ägypten, noch China, noch Hellas, weise und durchgebildete Länder, diese Art gekannt haben, Gebilde aneinander zu reihen, die sich gegenseitig auffressen. ... Malerei und Bildhauerei – so raunt mir der Dämon des Allesdeutenmüssens zu – sind ausgesetzte Kinder. Ihre Mutter ist tot, ihre Mutter, die Architektur.“
Diese Anthologie macht auf verblüffende Weise deutlich, wie stark das moderne Museum umkämpft war und wie es sich – seit den ungeniert totalitären Vereinnahmungsversuchen des Directoire Ende des 18. Jahrhunderts – ständig neuer und wachsender Begehrlichkeiten zu erwehren versuchte.
Anders als das Theater und die Literatur ist das Museum seiner Form nach ausschließlich in der Architektur verankert, und sie ist es, welche das Museum zur abwechslungsreichen, aber auch tendenziell überfrachteten Bühne macht – vom imperialen Repräsentationsbau bis zum - nur scheinbar - geschmacksneutralen white cube.
Museumsvisionen
In der bis vor wenigen Wochen in dem Neo-Torso der Schinkelschen Bauakademie gezeigten Ausstellung Museumsvisionen haben Bénédicte Savoy, Nikolaus Bernau und Hans-Dieter Nägelke, unterstützt von forschungsbegeisterten Mitarbeitern den Wettbewerb zur Erweiterung der Museumsinsel 1883 /84 rekonstruiert. Diese Ausstellung, welche auf die reichen graphischen und fotografischen Bestände des Architekturmuseums der hiesigen Technischen Universität zurückgreifen konnte, ist meines Wissens ein Novum zumindest in der Geschichte historischer Architekturwettbewerbe: „The winner takes it all“ – ist üblicherweise die Formel. Die Unterlegenen landen, wenn sie Glück haben, im Depot. In dieser Ausstellung sind nach einhundertvierzig Jahren in den kühnen, blendenden und überhochmetzten Entwürfen auch die ästhetischen Vorlieben, die imperialen Aspirationen und die quasi-sakralen Veduten zu sehen, als wäre die Entscheidung noch nicht gefallen. Zu bestaunen ist das Panorama eines zur Architektur geronnenen Zeitgeistes, der, dies nur beiseite gesprochen, auch ahnen lässt, wie es wenige Jahre später zur der monumentalen geschmacklichen Entgleisung des Berliner Doms kommen konnte.
Dem Geheimnis des Museums, das immer mehr ist als nur ein Gehäuse für Sammlungen ist Bénédicte Savoy mit ihrem Essay Für eine Geopoetik des Museums auf der Spur. Die großen, manchmal geradezu überdimensionierten Räume gehorchen nicht immer den ihnen zugedachten ideologischen, geopolitischen Koordinaten; die Gegenstände senden Botenstoffe aus, die über das pädagogisch Intendierte nonchalant hinausgehen, wie ein Museumsbesuch, die Beschwörung Iris Berlina des ungarische-serbischen Schriftstellers Milos Crnjanski erhellt: „Unvergesslich ein persischer Teppich mit Spuren von indischem Einfluß. (Draußen schmutziges Wasser, die beschlagenen Fenster der Börse – an dem Tag herrschte dort Panik – und ein mit Äpfeln belandender Schleppkahn. Im nächsten Saal (welch ein Zufall) eine kleine holzgeschnitzte, christliche, orthodoxe Altartür, ähnlich der in Skopje. (Wunderbarer, viloettfarbener Gipfel des Berges Ljuobote., hoch über der Erde .Alles ist seinetwegen da. Alle Iris.“
Oder die wunderbare Phantasmagorie des türkischen Besuchers Imail Habib Sevük, der sich beim Betreten des Babylonischen Tors in ein leibhaftiges Babylon zurückversetzt sieht. Synästhetische Empfindungen, die wir auch von der Kinoprojektion – larger than life – kennen.
Vom Faustkeil zur Handgranate
Zu den Entdeckungen, wie nur eine leidenschaftlich forschende Person wie Bénédicte Savoy sie zu heben vermag, gehört die Auffindung der Dokumente über Propagandafilme für die Berliner Museen 1934 – 1939 und schließlich auch der Filme selbst. „Vom Faustkeil zur Handgranate“ heißt der sprechende, einem Propagandafilm über das Zeughaus entlehnte Titel dieses ungewöhnlichen Buches. Bénédicte Savoy geht in dieser medienarchäologischen Recherche nicht nur der ideologischen Befrachtung nach, mit der die einst durchaus international konzipierten Berliner Museen medial ‚eingedeutscht’ bzw. germanisiert wurden – und in welchem ‚Ausmaß’ ( sofern man für das Vergessen ein Maß setzen kann! ) diese Produktionen nach 1945 wieder vergessen wurden. Sie erwähnt eingangs einen wertvollen Hinweis von Martin Roth im Jahr 1990, eine erste Spur – und sie wird fündig. Unter dem Kapitel „Gold für Museumsfilme“ schildert sie die mediale Aufrüstung, mit der Deutschland auf der Pariser Weltausstellung 1937 triumphierte und der seit 1919 für die Berliner Museen kinematographisch tätige Hans Cürlis zahlreiche Preise und Auszeichnungen erhielt. 40 deutsche Kulturfilme wurden damals auch noch außerhalb des Palais de Tokyo im „Deutschen Haus“ und im großen Saal des Ciné 37 gezeigt.
Interessanterweise reagierten die Museumsverwaltungen auf die seit der Jahrhundertwende deutliche spürbare Museumsmüdigkeit des Publikums – es gab gewissermaßen analog dazu auch eine Theatermüdigkeit, beide waren vom rasanten Erfolg des Kino wenn nicht verursacht, so doch beschleunigt worden – durchaus modern: mit dem Medium, das sie am stärksten bedrohte, dem Film.
Diese Publikation ist ein wahres Findebuch – es wäre zu wünschen, daß die mit der Archivierung betrauten Institutionen entweder das Bundesfilmarchiv und die Berliner Museen, allen voran das Deutsche Historische Museum – oder besser noch die beiden in Kooperation – den hier aufgelisteten und teilweise durch Photogramme überlieferten Filmen, soweit sie erhalten sind, eine eigene Edition bereitstellten. Unser Blick auf die Museen und auf das historische Publikum würde einer kräftigen Revision unterzogen.
Visions and revisions: es ist kein Ruhmesblatt weder für Berlin noch für Paris, daß die von Bénédicte Savoy kuratierte, reichhaltige und sehr kritische Ausstellung über Napoleon: Traum und Trauma in Bonn Premiere hatte. Für mich, als Leser des holländischen Historikers Jacques Presser, die erste ‚ausgewogene’ Ausstellung über diesen unauslotbaren und bis heute schier unwägbaren Gegenstand. Die französische Übernahme im Musée de l’Armée war davon leider nur ein matter Abglanz. Herrscht der Feldherr immer noch über den Schlaf seiner Soldaten?
Man muß Bénédicte Savoy gesehen haben, die Freude und ansteckende Begeisterung, mit der sie öffentlich spricht, wie jüngst im Collège de France, um zu begreifen, was sie um- und antreibt, wenn sie die Bilder befragt, wie und wodurch und wo sie zu unseren Geschichtsbildern werden konnten.
Zum Schluß darf ich einen rückhaltlosen Bewunderer Frankreichs zitieren und mit diesem Satz Franz Kafkas Bénédicte Savoy zum Preis der Académie de Berlin gratulieren:
Wenn die Franzosen ihrem Wesen nach Deutsche wären, wie würden sie dann erst von den Deutschen bewundert sein.